Messer schneidet ins Holz


dass Späne fliegen. Wenn es ein Himmel sein soll, muss das Holz ausgeschnitten werden. Nur Stege dürfen stehen bleiben. Das Holz reißt aus und splittert. Wut treibt das Messer, dass es tiefer schneidet. Wortwut. Was tut man mit den Wörtern und den fremden Sätzen, die man nicht im Kopf behalten mag? Man liefert sie ans Messer. Das Messer schneidet besser, wenn man die Sätze gleich nach dem Lesen ins Holz sticht: / «du liest, dies hier, dies, Dis- parates - » / Da nimm! Und den auch noch! Und diesen Schnitt hier! Und jetzt den … / «Hand- und Fingergekröse» / … / «Afterschrift» / … Der Stichel rutscht weg und fährt in die Fingerkuppe. Geschieht dir recht, wenn du dir ins eigene Fleisch schneidest, geschieht dir ganz recht. Das ist ja nicht dein Text, den du dir da aus dem Kopf und ins Holz schneidest, zeilenweise zerpflückst und zerflederst, den du liest wie der Geier die Beute, frisst auf Raubtier- und Mörderart. Gehört sich das? Nein, das gehört mir nicht. Heute würde ich belangt werden wegen unerlaubter Besitznahme von Fremdtexten. Heute gibt es Grenzen. Da ist genau festgelegt, was wem gehört. Gehört Lesen mir? Und dieses Wort / «wann» / und wo steht / «wann, wann blühen» / auf welcher Seite / «wann blühen die, hühendiblüh» /? Hier oder schon drüben? Hinter dem Stachelsatzdraht...

Aus: Hoh- Hü- Hühendiblüh, Caravan 2016.

Aus der Mappe: Mein Gedicht ist mein Messer 1990

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